Sein Zimmer - geschrieben von Mini

Als sie aufwachte, fand sie sich in einem weißen Zimmer wieder. Alles war blass. Die Vorhänge, der Stuhl, das Bett, die Fenster. Ein pures weiß, so steril und steif, dass die Sonne sich selbst reflektieren konnte - ohne Unterschied und Licht. Wie ein Krankenzimmer für Gefallene, wie eine Unterkunft für Verlorene - als wäre jeder Schandfleck auf dieser Welt wie verblasst und weggewischt. Oder jede Farbe des Lebens verschwunden.

 

Die Helligkeit war beißend. 

 

Ihre Nerven waren wie benebelt. Sie spürte nichts aber versuchte sich auch nicht zu bewegen. Ihr Körper war wie versteinert, fest gefroren, verschwendet und zerrissen. So war auch ihre Motorik. Als hätte sie verlernt sich zu bewegen, brauchte sie eine Weile um sich an die neuen Umstände zu gewöhnen, denn es schien, als wäre das Weiß ihr Gegner und würde ihre Beschleunigung bremsen.

Nun saß sie - bedeckt von einem Laken aus Schnee - auf dem weißem Bett und ließ ihre Beine taumeln. Dies schien sie noch nicht verlernt zu haben.

 

Was machte sie hier ? Wie ist sie hieher gekommen ? Was ist passiert ?

Oh nein, diese Fragen stellte sie sich nicht. Sie wusste schon von Anfang an, dass es sinnlos wäre. Sie würde keine Antworten finden, sondern nur noch mehr Fragen ausgraben und sich dadurch begraben. Ob diese Intuition angeboren ist, die weibliche Intuition oder spricht da ihre Stimme der Erfahrung ?

Sie konnte nicht anders und saß ruhig und gefasst auf dem Bett und wartete.

Auf etwas, das die Ordnung im Zimmer auseinander nimmt. Auf jemanden, der das Zimmer bunt anstreicht. Auf jemanden, der die Vorhänge öffnet.

 

Die Tür ging auf und es betrat ein junger Mann das helle Zimmer.

 

"Ich sehe, du bist wach."

 

Er stellte ein Tablett mit roten Pillen und ein Glas durchsichtiges Wasser auf dem Tisch.

Sie verfolgte ihn mit ihrem Blick. Alles muss aufgenommen werden. Sein Hemd, sein Gesicht, seine Art, seine Bewegung, sein Wesen. Sie beobachtete ihn, observierte sein Handeln, seine Worte und versuchte in allem eine Wahrheit zu finden.

Ob offensichtlich oder überaus klein, ob noch so unwichtig oder versteckt - es passierte nicht viel, doch es war, als müsste sie irgendwo und überall eine Intention in ihm suchen, die sie vielleicht übersehen haben könnte.   

 

Oder die nicht da war.

 

Sie schaute durch ihn hindurch und es klärte sich ihr Blick. Die Sonne blendete sie.

Er lächelte. Es schien ihn nicht zu stören, dass sie nicht antwortete, auch wenn keine explizite Frage an sie gerichtet war. Er hatte nur auf eine Reaktion gehofft, egal was. Panik, Angst, Verwirrung - nichts.

Nicht, dass er ihr diese Gefühle wünschen würde, doch sie würde dadurch ein bisschen normaler erscheinen und er könnte ihren Charakter einordnen. Doch ihre Augen waren blank.

 

"Hier, nimm das."

 

Ohne Misstrauen oder Vorsicht nahm sie die Tabletten und schluckte diese mit klarem Wasser runter. Sie hinterfragte nichts, sie nahm alles so hin wie es war.

Die Pillen waren weg und das Wasser, das ihr aus dem Mund lief, glitzerte in der Sonne.

Ihr blindes Vertrauen überrumpelte ihn fast und er musste seine Fassung schnell wieder finden.

 

Ja, sie war schon ein wundersames Wesen. War sie einfach nur willenlos oder weise ? Willenlos bis zu dem Punkt, dass die gesamte Situation skurril erschien und er sich nicht anders helfen konnte, als mit zu spielen, oder weise, sich nicht gegen den Willen eines Fremden zu wehren, der hier körperlich massiv im Vorteil wäre ?

Sie war auf jeden Fall nicht dumm. Das flüsterte ihm subtil ihr Blick. Ernst, wach und bedachtsam. 

Blass und weiss, dass sie mit der Helligkeit des Zimmers verschmelzen könnte.

 

Er verstand es nicht. Was mag wohl dieses wunderschöne Wesen denken ? Sie hatte nie mit ihm gesprochen oder war er zu blind und hatte es nie mitgekriegt ?

Er verstand sie nicht. Wurde nur beobachtet und mit Blicken erstochen.

Saß nur still da und schien die Ruhe des Zimmers zu genießen.

Er wollte sie nicht fragen, nicht unvorbereitet, nicht plump, nicht so. Nicht die weiße Atmosphäre stören, die sie umgibt.

Diese unendliche Ruhe.

 

Er kniete sich vor ihr hin und wartet bis sie das klärende Wasser aus dem Glas leer getrunken hatte.

 

"Du bist nun schon seit einem langem Zeitraum hier. Und jedesmal, wenn du aufwachst, scheinst du jemand anderes zu sein, aber dann doch nicht. Willst du nicht wissen, wie du hierher gekommen bist ?"

 

Sie blickte ihm für einen kurzen Moment in die Augen und schloss daraufhin ihre Lider.

Suchte sie nach einer passenden Antwort in ihrem Kopf, ihrem Herzen, ihrem Raum, ihrem Zimmer ? Das müsste sie doch gar nicht. Die Situation war so offensichtlich und jede Handlung, jeder Dialog müsste so vorhersehbar und glasklar sein. 

Müsste.


Denn alles ist glasklar und hell, nur nicht eine passende Antwort für sie. Oder für ihn ?

 

Als hätte er es aufgegeben, nahm er ihr wortlos das helle Glas ab und stellte es auf den Tisch.

Das Abstellen, das Geräusch, das Klacken hallte im Zimmer für eine Weile wieder und durchbrach damit die Stille, die wie eine schwere Decke über den beiden schwebte.

 

"Ich muss es nicht wissen. Ich weiß, ich kann dir vertrauen."

Ihre Augen waren immer noch geschlossen, doch es war als könnte sie trotzdem noch sehen.

 

"Warum denkst du das ? Ich könnte ein kaltherziger und rücksichtsloser Kerl sein, der dich nur ausnutzen wird. Du musst vorsichtiger sein!"

"Nein."

"Warum nicht ?"

"Weil ich es so will."

 

Er scheint es geahnt zu haben. Nicht überrascht über die Antwort stand er vor ihr und schaute von oben auf sie herab. 

Er hatte sie getestet. Ein schlimmer Kerl, doch wusste sie es ? Vielleicht. Sie rührte sich nicht.

 

Nun betrachtete er sie. Diese langen Wimpern, das leicht gelockte Haar, das ihr ins Gesicht gefallen war, das kleine Muttermal unter dem Auge, die leicht geöffneten Lippen.

Er fasste ihr an die Backe und strich von dort aus über ihre Lippe. Ganz langsam und sanft. Fast vorsichtig und zärtlich. Ganz normal und ungezwungen. Als würden sie sich schon eine Ewigkeit kennen, als würde sie ihn an etwas erinnern, das längst in der Vergangenheit verloren gegangen war. 

Eine enge Beziehung, eine bestimmte Verbindung.

 

Sie öffnete ihre Augen und ihre blau leuchtenden Pupillen reflektierten sein dunkles Spiegelbild.

Er stoppte.

Die Ruhe des Zimmers schien gestört. Rastlos und schnell, Bewegung überflutete seinen Körper und es fing an hektisch zu flimmern. Das Licht wurde aufgedreht, er konnte kreischende, aufgeregte Stimmen hören, es tobte Musik von draußen herein.

Er hörte die Uhr ticken. Laut und aufdringlich.

Tick.

Tack.

TIck.

TAck.

TICk.

TACk.

TICK.

TACK.

Mit jedem Blinzeln wurde es lauter und lauter, sie hackten auf ihn ein und rissen ihn mit, bis es anfing in seinen Ohren zu dröhnen.

 

Abrupt zog er sich von ihr zurück.

 

Sein Blick noch auf sie geheftet.

Ihr Blick noch auf ihn geheftet.

Der Lärm war verblasst.

 

"Hast du nie darüber nachgedacht dieses Zimmer zu verlassen ?"

"Nein, ich mag dieses Zimmer."

Er runzelte die Stirn.

"Warum?! Das Zimmer ist doch total langweilig, es gibt nichts, es ist hässlich und verklemmt. Es ist viel zu weiß und leer. Es ist verbittert!"

Er drehte sich von ihr weg und machte die Vorhänge zu.

Nun waren die Beiden in völliger Dunkelheit gehüllt.

Kein Lärm drang von draußen mehr herein und die Stille verweilte wie ein schwarzes Mantra auf seinen Schultern.

Seine Ruhe kehrte zurück. Seine Sicherheit.

Aber nicht lange.

 

"Ich will das Zimmer streichen."

Sie saß nun senkrecht auf der Bettkante und ihre blauen Pupillen leuchteten selbst im Schwarz der Umgebung. Sie forderte ihn heraus und als würde das Blau ihm den Weg weisen, fand er sie in der Dunkelheit.

Er stand nun wieder vor ihrer klaren Silhouette und starrte sie wie hypnotisiert an. Sie berührte behutsam seine Hand.

 

"Lass es uns streichen."

 

Und er wusste, dass seine Verwirrung, seine Kälte sie nicht verblassen könnte.


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Kommentare: 1
  • #1

    Ilaine (Samstag, 12 September 2015 09:03)

    So finally, du hast einen wirklich sehr sehr verdammt schönen Stil. So wie du alles umschrieben hast und es in einem Fluss gehalten hast. Sehr prägnante Ausdrücke, die sich tief in mein Gedächtnis gegraben haben. Dennoch wundere ich mich... Das Mädchen ist einer Anstalt richtig? Und der Mann ist vermutlich der Betreuer von ihr, es war zwar eine kleine Geschichte, dennoch... Ich bin begeistert. Besonders gefiel mir das Ende sehr gut, das hat mich wirklich bewegt.

    "Ich will das Zimmer streichen."
    Sie saß nun senkrecht auf der Bettkante und ihre blauen Pupillen leuchteten selbst im Schwarz der Umgebung. Sie forderte ihn heraus und als würde das Blau ihm den Weg weisen, fand er sie in der Dunkelheit.
    Er stand nun wieder vor ihrer klaren Silhouette und starrte sie wie hypnotisiert an. Sie berührte behutsam seine Hand.

    "Lass es uns streichen."

    Und er wusste, dass seine Verwirrung, seine Kälte sie nicht verblassen könnte.

    Bless you beautiful person with those awesome writings!

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